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Sonderausstellung im MARKK

1000 Töpfe: Wie Essen Geschichten erzählt

Mit der Ausstellung „Tausend Töpfe – was Essen uns angeht“ hat das MARKK gemeinsam mit der Stadtgesellschaft Hamburgs eine vielfältige Rundschau über unsere Esskultur geschaffen. Hier wird Essen nicht nur als Genussmittel betrachtet, sondern als Spiegel unserer Geschichte, Gesellschaft und Identität

31. Januar 2025 von Alina Fedorova

Die Sonderausstellung „Tausend Töpfe – was Essen uns angeht“ im MARKK rund um Esskultur. Hier: ein antiker Pasta-Tisch samt Utensilien eines Pasta-Rituals /©Alina Fedorova
Die Sonderausstellung „Tausend Töpfe – was Essen uns angeht“ im MARKK rund um Esskultur. Hier: ein antiker Pasta-Tisch samt Utensilien eines Pasta-Rituals /©Alina Fedorova

Reis- und Mais-Göttinnen, Nasi-Goreng-Fan-Shirts, getöpferte Teigtaschen und Tempeh-Kunst: Auf den ersten Blick haben diese Dinge nicht viel gemeinsam. Doch im Zusammenspiel mit anderen Beiträgen von rund fünfzig Menschen aus Hamburg beleuchten sie in der partizipativen Ausstellung im MARKK Museum „Tausend Töpfe – was Essen uns angeht“ die vielen Facetten unserer Esskultur: vom Essen als soziale Erfahrung über kulturelle und historische Bedeutungen bis hin zu politischen Zusammenhängen. „Wir wollten eine Ausstellung machen, die die Stadtgesellschaft nicht nur mit einbezieht, sondern in der die vielfältigen Geschichten und Perspektiven der Beitragenden den Kern bilden“, so die Kuratorin und Organisatorin Lara Ertener. „Essen geht uns alle an, auf unterschiedliche Weise – und jede Person hat etwas zu diesem Thema zu erzählen. Da brennt allen etwas auf der Seele, das man teilen möchte.“ Im Dialog mit Objekten aus der weltweiten Museumssammlung wurde mit Fotografien, Videos, Interviews und selbst mitgebrachten Erinnerungsstücken ein vielstimmiges Mosaik geschaffen, das verdeutlicht, dass Essen uns nicht nur verbindet, sondern auch trennt.

Essen geht uns alle an, auf unterschiedliche Weise – und jede Person hat etwas zu diesem Thema zu erzählen

Kuratorin Lara Ertener

Mitmachausstellung zu Hamburgs Esskultur im MARKK Museum

Das Kuratoren-Team um Lara Ertener, Noam Gramlich und Weiqi Wang entschied sich für einen sogenannten Outreach-Prozess: In Workshops, bei gemeinsamen Kochevents und auf Wochenmärkten sammelten sie Geschichten, Rezepte und Perspektiven zu Themen wie Ernährung, Migration, Nachhaltigkeit, Landwirtschaft und Kolonialwaren. „Wir sind zusammengekommen, haben zusammen gegessen und inhaltliche Themen erarbeitet. Es gab viele Diskussionen und auch mal Reibungen, aber insgesamt war es ein wohlgesinnter Raum, woraus spannende Synergien entstanden sind“, berichtet Ertener. Es trafen Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionierungen aufeinander, brachten auch diverse Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen mit. Heraus kam eine „überraschend politische“ Ausstellung, gegliedert in die Themenkapitel „Verbinden und Ausschließen“, „Unersättliche Märkte“, „Erinnerungen“ und „Geschmacksflexibel“. Jede Sektion erzählt Geschichten, die berühren, aufklären oder überraschen und zum Nachdenken anregen.

Essen kann ausschließen: Folgen des Kolonialismus am Beispiel der Cola

So thront im Kapitel „Verbinden und Ausschließen“ im Beitrag von Hannimari Jokinen eine Coca-Cola-Flasche auf einem Podest, während ihr Schatten im Hintergrund in Form von Texten, Bildern und Objekten aus der Sammlung koloniale Machtverhältnisse anhand der Original-Zutaten veranschaulicht: „Hamburg gibt sich bis heute noch den Beinamen ,das Tor zur Welt‘. Der Wohlstand unserer Hansestadt hat massiv und maßgeblich mit historischen Wirtschaftsstrukturen zu tun – somit auch mit Kolonialismus und dem globalen Handel mit versklavten Personen“, so die Kuratorin. Dabei sei der globale Zuckerhandel und die damit verbundenen ökologischen und gesundheitlichen Konsequenzen immer noch ein großes Thema.

Der Beitrag von Hannimari Jokinen zeigt anhand der Original-Zutaten der Cola global-historische Wirtschaftsstrukturen und deren Konsequenzen bis heute auf /©Alina Fedorova
Der Beitrag von Hannimari Jokinen zeigt anhand der Original-Zutaten der Cola global-historische Wirtschaftsstrukturen und deren Konsequenzen bis heute auf /©Alina Fedorova
Das erste Outreach-Event für Interessierte fand im April 2024 statt /© MARKK, Foto: Paul Schimweg
Das erste Outreach-Event für Interessierte fand im April 2024 statt /© MARKK, Foto: Paul Schimweg
Im Kapitel „Geschmacksflexibel“ geht es um die Wandelbarkeit kulinarischer Traditionen. Fenda ist Tempeh-Künstlerin und stellt das indonesische Traditionsprodukt in verschiedensten Variationen her /©Alina Fedorova
Im Kapitel „Geschmacksflexibel“ geht es um die Wandelbarkeit kulinarischer Traditionen. Fenda ist Tempeh-Künstlerin und stellt das indonesische Traditionsprodukt in verschiedensten Variationen her /©Alina Fedorova

Essen kann verbinden: Kochen als Care-Arbeit und Ausdruck von Liebe

Essen als kulturelle Brücke und persönlicher Ausdruck von Liebe steht im Mittelpunkt von Ulugbek Ahmedovs Geschichte. Sein Kazan, der gusseiserne schwarze Topf, ist für ihn mehr als ein Kochgefäß – er ist ein Gefährte, der ihn seit drei Jahrzehnten begleitet und Erinnerungen an Heimat, Familie und Freundschaft trägt. Besonders der usbekische Plov, ein geschmortes Reisgericht mit Fleisch und Karotten, hat für ihn eine tief verwurzelte Bedeutung. Darüber freute sich auch das gesamte Team, als Ahmedov seine Leibspeise traditionell über offenem Feuer im Hof des Museums für alle Beitragenden kochte. Als Leihgabe gesellt sich der Kazan neben einen Tonherd aus den Philippinen aus dem 19. Jahrhundert und einem von Ahmedov eingesprochenen Audio-Beitrag: „Er hat so einen berührenden Text geschrieben, der aufzeigt, dass das Kochen für alle ein Ausdruck von Liebe, Fürsorge und Kreativität sein kann“, so Ertener. Auch erzählt der Bildhauer von den Einflüssen verschiedener Regionen und Menschen auf seine Küche: „Neben Kurkuma und Kreuzkümmel stehen jetzt auch Meerrettich, Bautzner Senf und Wasabi-Paste in meinem Küchenschrank.“

Essen schafft Erinnerungen: Schüler und Schülerinnen töpferten ihr Lieblingsgericht

Bunte Teller mit Speisen aus aller Welt schmücken eine Wand als Beitrag zum Thema „Erinnerungen“: Schülerinnen und Schüler der Stadtteilschule am Hafen töpferten ihre Lieblingsgerichte – vor allem Teigtaschen wie Pelmeni, Samosas und Manti machten hier das Rennen. „Es war spannend zu sehen, dass die meisten Gerichte, die getöpfert wurden, mit Teig hergestellt werden. Daraus haben die SchülerInnen den Schluss gezogen, dass gerade dieses Ritual im gemeinsamen Zubereiten dieser aufwendigen Gerichte den emotionalen Wert ausmachen.“ 

Das Plakatmotiv „Tausend Töpfe“ zeigt getöpferte Lieblingsgerichte von Schülerinnen und Schülern der Stadtteilschule am Hafen /©MARKK, Design: Nicole Schardt
Das Plakatmotiv „Tausend Töpfe“ zeigt getöpferte Lieblingsgerichte von Schülerinnen und Schülern der Stadtteilschule am Hafen /©MARKK, Design: Nicole Schardt
Organisatorin und Kuratorin Lara Selin Ertener studierte Migration and Diaspora Studies in London und blieb nach ihrem Volontariat im MARKK als Prä-Kuratorin /©Alina Fedorova
Organisatorin und Kuratorin Lara Selin Ertener studierte Migration and Diaspora Studies in London und blieb nach ihrem Volontariat im MARKK als Prä-Kuratorin /©Alina Fedorova

Weitere Beiträge thematisieren die Rolle der Globalisierung und der Vermischung kulinarischer Traditionen oder auch Fragen rund um Normen, Vorurteile, Flexibilität und Inklusion. Klischees werden aufgezeigt und aufgebrochen, Geschlechterrollen reflektiert, über Rassismus und Ausgrenzung aufgeklärt. Mit der experimentellen Ausstellung sei es dem MARKK ein Anliegen, das Museum für die diverse Stadtgesellschaft weiter als bisher zu öffnen und damit in einen engeren Austausch zu treten: „Ich glaube, dass in der Ausstellung sehr viele unterschiedliche Fragen aufgeworfen werden – persönliche, politische, gesellschaftliche und zum eigenen Verhältnis zu Geschmack. Wenn Besuchende eine von diesen Fragen für sich mitnehmen, fände ich das sehr schön.“

Die Sonderausstellung läuft bis zum 2. November 2025 im Museum am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt. Nächste Kurator:innenführung am 2. und 9. Februar (13 Uhr), nächster Termin zum interaktiven Ausstellungsgespräch mit den Beitragenden am 14. Februar (17 Uhr).

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Ob Phở Bo oder Ramen: Asiatische Nudelsuppen könnte Alina Fedorova zu jeder Jahres- und Tageszeit schlürfen. Lange Zeit in der Gastro tätig, hat sie Tablett gegen Tastatur getauscht und schreibt jetzt über Hamburgs Gastro-Szene. Oft steht sie selbst hinterm Herd und kocht Rezepte aus aller Welt.