Vorschriften für den Verzehr von Lebensmitteln und Getränken gibt es in vielen Religionen, so auch im Judentum. Die strengen Speisegesetze heißen Kaschrut und basieren auf den Speisegeboten der Tora. Die Vorschriften unterteilen dabei in für den Verzehr erlaubte und nicht erlaubte Lebensmittel. Was erlaubt ist, wird als „koscher“ (wörtlich übersetzt: „tauglich“) bezeichnet. Was den jüdischen Speisegesetzen nicht gemäß ist, heißt „treife“.
Kaschrut: Jüdische Speisegesetze im Überblick
Beispielsweise darf laut Kaschrut nur das Fleisch von koscheren Tieren verzehrt werden. Diese haben gespaltene Hufe und sind Wiederkäuer. Somit fallen Rinder, Schafe, Ziegen und nicht bei der Jagd geschossenes Damwild in die Kategorie des Erlaubten. Schweine, Kaninchen und Pferde dürfen nicht gegessen werden. Geflügel ist in den meisten Fällen koscher. Denn Hühner, Enten und Gänse gehören zu den domestizierten Tieren, sind weder Raubvögel noch Aasfresser und deshalb erlaubt. Damit auch das Fleisch koscher ist, müssen die Tiere rituell geschlachtet werden und beim sogenannten Schächten möglichst rückstandslos ausbluten – der Verzehr von Blut ist im Judentum verboten. Fisch unterliegt nicht diesem Gesetz. Er muss lediglich Schuppen und Flossen haben, um koscher zu sein. Aale, Meeresfrüchte und Schalentiere gelten folglich als treife. Die jüdischen Speiseregeln sehen außerdem vor, dass Fleisch- und Milchspeisen streng getrennt voneinander zubereitet und gegessen werden. Wer Fleisch isst, muss etwa drei bis sechs Stunden warten, bevor etwas Milchiges zu sich genommen werden darf. Umgekehrt ist es anders: Nach einer Milchspeise muss man nur zwischen einer und drei Stunden mit dem Fleischverzehr warten. Allein dieses Beispiel zeigt, wie komplex die Kaschrut ist. Denn es geht dabei nicht nur um die Unterscheidung zwischen koscheren und nicht koscheren Lebensmitteln, sondern auch um deren Zustand, die Zubereitung und den Konsum. Wer direkt nach dem Schnitzel zum Nachtisch ein Stück Kuchen, Gebäck oder Eis naschen möchte, muss nicht komplett verzichten. Produkte mit dem Label „parve“ (= neutral) enthalten keine Milch und sind somit auch für Menschen mit Laktoseintoleranz und oft sogar für die vegane Ernährung geeignet.
Von Siegeln und Standards: die Koscher-Zertifizierung
Nicht alle gläubigen Jüdinnen und Juden befolgen die Kaschrut in gleichem Maße. In den unterschiedlichen Strömungen gibt es Abstufungen, wie streng die Regeln ausgelegt werden. Einige achten nur darauf, dass das Fleisch koscher ist, andere essen bloß fleischige und milchige Speisen nicht zusammen. Wer die Gesetze ganz genau nimmt, kauft nur koscher zertifizierte Lebensmittel. Solch ein Siegel, Hechscher genannt, garantiert, dass ein Rabbiner die Produktionsstätte besichtigt und sowohl den Herstellungsprozess als auch die einzelnen Zutaten kontrolliert hat. Der jüdische Geistliche übernimmt in solchen Fällen die Rolle eines Maschgiachs, eines Prüfers bei der Inspektion. Dabei achtet er darauf, dass die koscheren Produkte nicht durch unkoschere Bestandteile verunreinigt werden und lässt sich die Herkunft der Zutaten aufzeigen. Ist der Rabbi zufrieden, erhält das Produkt ein Koscher-Zertifikat, das in der Regel ein Jahr lang gültig ist und danach erneuert werden muss. Bei der Zertifizierung gibt es einfache sowie die höchsten Kaschrut-Standards. „Pat Israel“ bescheinigt, dass ein praktizierender Jude am Backprozess von Brot, Brötchen und Co. beteiligt war und mindestens den Ofen angemacht hat. „Chalav Israel“ dagegen bezieht sich auf milchige Speisen und setzt voraus, dass ein gläubiger Jude beim gesamten Herstellungsprozess der Milch – von Melkbeginn bis Verarbeitungsabschluss – anwesend ist. Auf der Welt gibt es Tausende koschere Zertifizierungsstellen, die verschiedene Kaschrut-Symbole mit unterschiedlichen hebräischen Buchstaben verwenden. In Hamburg übernimmt Landesrabbiner Shlomo Bistritzky, der gleichzeitig auch Kaschrut-Experte ist, die Zertifizierung.
Koscher auf den zweiten Blick
Auf den ersten Blick fällt es schwer, koschere Produkte im Supermarkt zu erkennen. Doch wer sucht, der findet. Oder besser: wer genauer hinschaut. Meist verbirgt sich auf dem Etikett ein Hinweis. Viele Sorten der dänischen Eismarke Häagen-Dazs etwa sind mit einem „U“ und einem „D“ in einem Kreis gekennzeichnet. Mit diesem Label kennzeichnet die Orthodox Union koschere Milchprodukte. Ein bekanntes Hamburger Produkt mit Koscher-Stempel, das in vielen Supermärkten erhältlich ist: Gin Sul aus Altona. Auf der Rückseite ist unten in der Ecke das Zertifikat „Kosher Rabbiner Shlomo Bistritzky Hamburg“ als Siebdruck zu finden.
Die Flaschen führt auch der Kosher Market, der Ende März 2023 an der Rothenbaumchaussee eröffnet hat. Damit hat Hamburg wieder einen Supermarkt, der ausschließlich Produkte verkauft, die konform mit den jüdischen Speisegesetzen sind. Die Umsetzung hat allerdings mehrere Jahre gedauert. Dafür wurden die Flächen im Untergeschoss des jüdischen Bildungszentrums Chabad Lubawitsch umfangreich saniert. Wo vorher drei Garagen waren, befindet sich jetzt ein Verkaufsraum, den ein blau-weißer Fliesenboden, frisch restaurierte Decken und ein zum 1877er-Gründerzeitbau passender Tresen zieren. In den Regalen und Kühltruhen lagern einige Hundert Lebensmittel, unter anderem Fleisch- und Milchprodukte, Süßigkeiten, Kekse und Wein. Die Ware bezieht der Kosher Market nicht direkt aus Israel, sondern überwiegend von Großhändlern aus Frankreich, dem belgischen Antwerpen und Ungarn. Zudem gibt es im Laden eine Ecke mit Gebets-, Lehr- und Kinderbüchern sowie Schabbat-Kerzen und Kiddusch-Becher. Geschäftsführer Manfred Lücke bietet außerdem koscheres Catering an, das vor allem große Firmen in Anspruch nehmen. Einzelbestellungen gehen auch für den Schabbat ein, dann gibt es zum Essen eine Flasche Kiddusch-Wein und ein Challah-Brot dazu. Einige Hundert Meter weiter im selben Stadtteil bietet der Supermarkt Edeka S. Anders in der Grindelallee ebenfalls koscher zertifizierte Produkte in einem separaten Regal an – von Dattelsirup und Halva über gefilte Fisch und Matze bis hin zum israelischen Erdnuss-Snack Bamba.
Die Schwierigkeiten einer koscheren Gastronomie
„Der Laden wird gut angenommen“, sagt Rabbiner Bistritzky rückblickend auf das vergangene Geschäftsjahr des Kosher Market. Doch nicht alle koscheren Angebote in Hamburg haben sich in der Vergangenheit rentiert, da sie sich an eine verhältnismäßig kleine Zielgruppe richten. Selbst innerhalb der jüdischen Gemeinde Hamburgs, die rund 2300 Mitglieder zählt (Stand 2022), ist es nur ein einstelliger Prozentsatz, der ein streng orthodoxes Leben nach den Regeln der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, führt und penibel die Kaschrut befolgt. Auch ist es für Betriebe nicht immer wirtschaftlich, ihre Produkte koscher zertifizieren zu lassen. Ein Beispiel dafür ist die Molkerei Kruses Hofmilch in Rellingen, die jahrelang koschere Milch nach dem höchsten Kaschrut-Standard „Chalav Israel“ unter Aufsicht eines Maschgiachs produziert hat. Seit 2021 ist die Zusammenarbeit beendet. Die Herstellung koscherer Milchprodukte fand jeweils sonntags statt und setzte voraus, dass der Betrieb am Vortag, dem Schabbat, stillstehen musste. „Aus Kapazitätsgründen war uns dies nicht länger möglich, sodass die koschere Produktion leider eingestellt werden musste“, so Kruses Hofmilch. Der Online-Weinhandel Deli King war zuvor ein Imbiss für koschere Speisen mit integriertem Mini-Supermarkt im Grindelviertel. Aus Mangel an Kundschaft musste Inhaber Dr. Ulrich Lohse den Laden allerdings schließen. Seitdem führt er das Geschäft als Fachhandlung für israelische koschere Weine online fort.
Aber warum ist es so schwierig, ein koscheres Restaurant zu betreiben? Zwar gibt es mit dem Neni, dem Mirou, dem Café Leonar, dem Carmel by Kapara und dem Lowinsky’s einige Lokale und Cafés in Hamburg, die von der israelischen beziehungsweise jüdischen Küche inspiriert wurden, doch keine der Gastronomien ist koscher. Laut Bistritzky spielen mehrere Faktoren dabei eine Rolle. Unter anderem sei es eine „finanzielle Frage“, denn ein koscheres Restaurant würde zum Schabbat vom Sonnenuntergang am Freitagabend bis zum Einbruch der Dunkelheit am Samstagabend schließen – einer der umsatzstärksten Zeiträume in der Gastronomie. Auch müssten sich die Betreiber entscheiden, ob sie milchige oder fleischige Speisen anbieten wollen, denn es sei quasi „unmachbar“, beides strikt getrennt voneinander zuzubereiten und zu servieren. „Dafür müssten es zwei Restaurants sein“, sagt Bistritzky. In Deutschland ist die koschere Gastronomie ohnehin nicht weit verbreitet. Koschere Restaurants gibt es nur in wenigen Großstädten, darunter mehrere Adressen in Berlin und Frankfurt. In München serviert das Restaurant Einstein koschere Speisen nach dem höchsten Kaschrut-Standard „l’mehadrin“. Bedeutet: Die gesamte Liefer- und Verarbeitungskette muss transparent nachverfolgt werden können. Außerdem ist täglich ein Maschgiach anwesend, der die Prozesse überwacht und einige Aufgaben selbst übernimmt, etwa das Anschalten des Herds. Das Einstein serviert Fleisch und verzichtet daher auf Milchprodukte im Betrieb. Es gehört zur Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und wurde bei Konzeption und Bau des Gemeindezentrums am Sankt-Jakobs-Platz direkt mitgeplant. Der Betrieb „ist nicht nur eine Geschäftsentscheidung, sondern auch eine der Gemeinde“, erklärt Slava Satanovsky, Mitglied des Gemeindevorstands. Man brauche ein koscheres Restaurant. „Wenn die Synagoge das Herz der Gemeinde ist, ist das Restaurant der Magen“, sagt er. Im Einstein arbeiten nicht nur jüdische Menschen und auch die Kundschaft ist vielfältig. Neben Gemeindemitglieder essen dort mittags Personen, die in der Nähe arbeiten oder aus dem Ausland zu Besuch sind. „Manchmal muss das Angebot zuerst da sein, um die Nachfrage zu schaffen“, meint Satanovsky. Das Einstein wird von der jüdischen Gemeinde und durch Veranstaltungen getragen – davon träumt auch Landesrabbiner Shlomo Bistritzky in Hamburg.