Koral, du bist seit vielen Jahren Teil der Genuss-Michel-Jury. Bei den vielen Dingen, die du beruflich tust: Warum engagierst du dich in der Jury?
Abgesehen davon, dass ich die Leute dort sehr mag, ist die SZENE HAMBURG seit 50 Jahren das Magazin für die Stadt – mit einem ganz starken Fokus auf Gastronomie. Ich kenne ehrlich gesagt kein ähnliches Konzept, das lokal so funktioniert und so lange Zeit überlebt hat. Gerade in der jetzigen, sehr schnelllebigen Zeit ist es bemerkenswert, dass ein kleiner lokaler Verlag das hinkriegt und das auch auf einem sehr hohen Niveau.
Da steckt sehr viel Liebe und Motivation drin und das kann man nur machen, wenn man für eine Sache brennt und an eine Sache glaubt. Das erinnert mich auch bisschen an uns, so wie wir arbeiten und wie wir kochen. Denn, um im Jahr 2024 individueller Gastronom zu sein, muss du entweder verrückt sein oder tatsächlich sehr lieben, was du tust. Das ist kein Unternehmen, bei dem du dir die Taschen vollmachst, und garantiert keines, bei dem du mit 30 Millionär bist. Das kriegst du mit Gastronomie nicht hin und auch als Verleger nicht.
Aber es geht ja im Leben nicht nur um Geld, sondern erst mal geht es für mich auch darum, das zu tun, was man liebt und wofür man brennt. Das sehe ich auch beim Genuss-Guide. Die machen das mit viel Leidenschaft. Daher unterstütze ich das als Juror. Und natürlich für diese wunderschöne Stadt Hamburg. So ein bisschen ehrt es mich auch, dass ich angefragt wurde. Ich mache das mit großer Freude.
Ich spüre, dass sich viele gerade auf ihren Überlebenskampf konzentrieren
Was bedeutet dir der Genuss-Guide?
Es gibt weltweite Beispiele wie „Time-out“ et cetera. Die machen das im großen Stil in mehreren Städten. SZENE schafft das als Einzelgänger. Der GENUSS GUIDE mit über 450 Seiten erreicht allein 500.000 Kontakte in dieser Stadt, also quasi ein Viertel der Bevölkerung. Dazu das digitale Angebot. Das musst du erst mal können! Während viele Zeitschriften und Zeitungen alles digitalisieren, baut die SZENE ihr digitales Angebot zwar ebenfalls kontinuierlich aus, geht allerdings mit ihrer gedruckten GENUSS-GUIDE-Ausgabe antizyklisch vor.
Nichts kann für mich das Gefühl ersetzen, ein frisch gedrucktes Buch oder Magazin wie dieses aufzuschlagen. Ich liebe das.
Die Gastronomie hatte es in den letzten Jahren schwer. Bis heute ist sie noch nicht wieder auf dem Stand wie vor Corona. Wie siehst du das?
Es wird auch nicht wieder so werden, die Zeiten ändern sich seit 2020 konstant. Was mit Corona anfing, ging mit dem Ukraine-Krieg weiter, der für mich als Gastronom deutlich spürbarer war, besonders durch die Inflation und die steigenden Einkaufspreise. Dann kam die Mehrwertsteuererhöhung dazu. Das finde ich einerseits hart, aber ich das sogar nachvollziehen, weil es früher auch so war. Trotzdem vermisse ich ein bisschen das Verständnis und die Unterstützung untereinander. Wir leiden kollektiv unter der Rezession. Ich bin nicht nur Gastgeber. Ich gehe gern essen und bin gern Gast und auch ich achte gerade genau darauf, ob ich jetzt einmal oder zweimal essen gehe. Also ich spüre es auch im eigenen Portemonnaie und ich verstehe, dass für viele die Zeit nicht einfach ist.
Was kann die Gastronomie tun?
Ich finde Gastronomen sollen sich viel öfter untereinander austauschen und gegenseitig von ihrem Wissen und ihren Kontakten profitieren. Das ist nicht die Zeit für Ellenbogenkultur und Konkurrenz, sondern eher für ein Miteinander. Das, was wir in der Corona-Zeit geschafft haben, sollte jetzt nicht einfach verloren gehen. Ich spüre aber, dass sich viele sehr auf ihren Überlebenskampf konzentrieren.
Wir sehen einen großen Wechsel. Wir sehen viele kleine Läden, die das nicht überleben. Andererseits ist es ermutigend und inspirierend, dass viele junge Leute sich trotzdem trauen oder ein neues Konzept auf die Beine stellen, neue Läden aufmachen. Das finde ich ganz toll!
Können die sich dauerhaft durchsetzen?
Ja, das glaube ich definitiv. Allerdings gibt es auch immer wieder Konzepte, bei denen ich mich frage: Wie soll das funktionieren? Da wundere ich mich dann schon manchmal. Denn in der Gastronomie hast du nur eine Chance – entweder hast viel Geld, sodass du Personal und Miete zahlen kannst, oder du stehst da selber im Laden und ziehst das durch und hast ein Team an deiner Seite, das auch daran glaubt. Aber das ist kein neues Phänomen.
Wenn du einen Blick zurückwirfst …
Wir haben unsere UG 2011 gegründet als Start-up, mit dem wir dann erwachsen wurden. Ab 2017 haben wir angefangen, davon richtig zu leben. Dann hatten wir zwei tolle Jahre. Und dann kam Covid. Danach habe ich mich wieder wie ein Startupper gefühlt. Ich bin wieder da, wo ich früher war, aber mit deutlich mehr Erfahrung. Quasi so ein zweiter Frühling und gefühlt noch mal von Anfang an, aber mit viel mehr Kraft, guten Leuten, besseren Strukturen und viel Know-how. Es ist teilweise immer noch sehr schwierig. Aber wir versuchen beispielsweise unser Gastrokonzept so weiterzuentwickeln, dass es für den Kunden bezahlbar bleibt und trotzdem unseren Qualitätsanspruch erfüllt, auf dem Teller, auf dem Tisch und als Gastgeber.
Nur mit einer virtuellen Hülle ohne realen Inhalt kann niemand lange überleben
Mit deiner großen Erfahrung: Hast du einen guten Rat für junge Gastro-Gründer?
Egal, wie toll das Konzept ist, wenn man sich für individuelle Gastronomie entscheidet, muss man sich darüber klar sei, dass man mindestens das erste und das zweite Jahr selbst da steht und das Konzept vorantreibt. Das ist unglaublich wichtig, dass man voll dahintersteht. Denn Gastronomie ist ein sehr emotionales Handwerk, verbunden mit einer Dienstleistung in Form des Gastgebers. Deswegen muss es jedem klar sein, dass man allein mit schönen Fotos und Instagram den Laden nicht nachhaltig voll kriegt. Ich sehe mittlerweile Konzepte, die bauen sich eine virtuelle Welt auf, was heute sehr einfach ist. Das hört sich dann zunächst total spannend an. Doch man muss dann auch wissen, wie man das dann in der Realität mit Leben füllt. Denn nur mit einer virtuellen Hülle ohne realen Inhalt kann niemand lange überleben.
Wertschätzung für die Gastronomie in Hamburg: Wo wünschst du dir, dass du mehr Wertschätzung erhältst?
Ich finde es in Deutschland generell kompliziert, wenn du dich entscheidest Gründer und Unternehmer zu werden. Teilweise wird aus ganz, ganz kleinen Sachen ein großes Problem gemacht. Den Behörden ist es anscheinend zum Teil egal, dass einem Menschen, der mit viel Motivation und Emotion beispielsweise versucht, ein Café zu eröffnen, das Leben zur Hölle gemacht wird. Wegen irgendwelchen Auflagen. Hinzu kommt, dass durch fehlendes Fachpersonal in Behörden kaum Ansprechpartner da sind, sodass man mit seinen Ideen nicht vorankommt. Das macht Menschen kaputt, die bereit sind, Geld zu verdienen, Steuern zu zahlen und nicht zu Hause zu hocken.
Wie könnte so etwas deiner Meinung nach aussehen?
Mir fehlen lokale Instanzen und ein bürgernaher Austausch, wenn wir konkret über Hamburg reden. Eine Instanz, die den Gastronomen zuhört und sich wirklich mit deren Anliegen beschäftigt. Das betrifft natürlich nicht nur Gastronomen, sondern auch den Einzelhandel und anderes. Ich finde, dass eine so wunderschöne Stadt durch eine komplexe Bürokratie nicht seine Seele verlieren darf. Das kriegen wir nur im Dialog hin, nicht durch Überheblichkeit, Arroganz oder Verweigerung. Denn von allem, was hier politisch schiefläuft, profitieren die rechten Schreihälse. Das ist ein weltweites Problem. Überall, wo Leute nicht performen, profitieren die Radikalen. Das passiert leider dort, wo die Menschen frustriert sind und kein Dialog stattfindet – dann verliert man und wir landen wieder da, wo wir nie wieder hinwollten.