In der Schulzeit angefangen, inzwischen gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Sven Schömer Besitzerin eines Franchise, das weit über die Grenzen Hamburg hinausreicht: Jessica Blumenau sagt über sich selbst, sie sei bei Sushi for Friends „regelrecht kleben geblieben“. Seit Februar 2019 leitet sie ein neues Herzensprojekt der Sushi for Friends-Holding. Gemeinsam mit ihrem Küchenchef David Schäfer begeistert sie im Tyo Tyo in Winterhude mit Kreationen der asiatischen und südamerikanischen Fusion-Küche.
Jessica, David, ihr seid beide seit Beginn an Teil des Tyo Tyo. Wie habt ihr die Gründung erlebt?
Jessica Blumenau: Es beginnt damit, dass mein Partner und ich 2016 die Marke „Sushi for Friends“ gekauft haben. Und da gehörte die White Lounge mit dazu (Anm. d. Red.: Vorgänger des Tyo Tyo). So hatten wir plötzlich ein Restaurant, das allerdings nicht mehr das war, was wir uns vorgestellt hatten. Also haben wir angefangen zu planen, wollten etwas Neues. Durch den Vermieter gab es Schwierigkeiten mit dem Bauantrag, der hatte sich anfangs total quergestellt. Das hat uns viel Zeit gegeben, um zu reisen und uns umzugucken. Wir haben weltweit Restaurants besucht, waren auf Möbelmessen, haben das ganze Interieur selbst gemacht. Und auch David ist weit vor der Eröffnung mit eingestiegen und hat die Karte konzipiert. Kurz gefasst hatten wir gar nicht unbedingt vor, ein Restaurant zu betreiben, aber es war eben dabei. So entstand eine Idee und aus der Idee wurde schnell Leidenschaft, mit viel Liebe zum Detail. Ich glaube, dass diese Detailverliebtheit auch genau das ist, was das Tyo Tyo ausmacht. Und im Februar 2019 konnten wir endlich öffnen.
David, du bist als Küchenchef seit Beginn an dabei. Wie bist du zum Tyo Tyo gekommen?
David Schäfer: Das ist die Vernetzung in der Gastronomie. Ursprünglich komme ich aus Rheinland-Pfalz, aus der Nähe von Mainz, habe mich über Berlin nach Hamburg gearbeitet, bin seit zwölf, dreizehn Jahren hier und habe verschiedene Stationen hinter mir. Eine davon war in Duvenstedt, im Lenz. In Duvenstedt leben auch die beiden Geschäftsführer – und so schließt sich der Kreis. Beim Mittagessen hatten sie mal erwähnt, dass sie einen Küchenchef suchen, und mein ehemaliger Chef hat gesagt: Ich kenne da jemanden, der arbeitet inzwischen im Coast by East. Dort gibt es Seafood-Sushi, dementsprechend war ich schon gut aufgestellt. Aber natürlich wollte ich mich weiter- und einen eigenen Stil entwickeln. Dafür bin ich unter anderem nach London geflogen, um mich dort in der Gastro umzusehen. Erst dann konnte ich die Speisekarte fürs Tyo Tyo konzipieren. Als ich im September 2018 hier angefangen habe, war Abriss. Nicht Aufbau, Abriss.
Wie hast du in dieser Zeit dein Küchenteam zusammengestellt?
D. S.: Das war anfangs meine größte Herausforderung. Das Team ist der Schlüssel zu dem, was wir hier machen. Als ich mit den Gesprächen angefangen habe, war hier noch Baustelle. Die Küche stand zwar zuerst, aber nichts war fertig. So musste ich vor allem auf mein Bauchgefühl, Menschenkenntnis, Empathie setzen, und ein bisschen darauf achten, wo die Leute vorher waren. Ich hatte sehr, sehr viele Termine. Aber so konnten wir mit einer relativ großen Truppe starten. Anfangs hatten wir über 50 Prozent Frauen – das ist heute leider nicht mehr so. Das Niveau in Küchen ist oft höher oder angenehmer, wenn Frauen dabei sind.
Was meinst du damit?
D. S.: Männer können eine sehr vulgäre Art an den Tag legen. Das passiert nicht, wenn Frauen im Raum stehen. Gleichzeitig werden Frauen oft etwas lauter. Es macht einfach mehr Spaß und eine coole Stimmung, wenn [das Team] durchmischter ist. Heute ist von 13 Personen in der Küche nur eine weiblich. Das ist schade.
J. B.: Wobei man auch sagen muss: Chef sein, ein Team zu leiten, das ist eine Herausforderung. Und da habe ich mit David großes Glück gehabt. Für ihn ist das eine Herzensangelegenheit. Heute ist das Anfangsteam zwar zum größten Teil nicht mehr da, aber wir haben uns weiterentwickelt. Ich betreibe auch noch andere Standorte und merke dabei immer wieder, dass es keine Selbstverständlichkeit ist. Der Job ist stressig und es gibt immer viel zu tun – aber das Team [im Tyo Tyo] hat Spaß und kann miteinander lachen. Ich glaube, man kann das nur sehr schwer erlernen. Du konntest das von Anfang an.
Du wirst nur erfolgreich, wenn du menschlich korrekt bist. Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen
David Schäfer, Küchenchef
D. S.: Ich habe sicher viel durch meine Familie mitbekommen. Und ich hatte zwei Chefs in meiner Laufbahn, die mir viel beigebracht, aber vor allem immer wieder gesagt haben: „Du wirst nur erfolgreich, wenn du menschlich korrekt bist.“ Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen.
J. B.: Und das merkt man. Man darf sich nicht zu fein für irgendwelche Aufgaben sein, auch mal anpacken. Ich stand schon in der Spüle und hab im Notfall auch eine Toilette sauber gemacht. Das gleiche gilt für David. Im Team scheint das durch: Wir sind hier gemeinsam und wir machen das gemeinsam.
Wie nehmen denn eure Gäste die Stimmung im Team wahr?
J. B.: Ich bekomme wirklich oft das Feedback: Wow, die haben echt Spaß bei der Arbeit. Natürlich ist das nicht jeden Tag der Fall, das wäre gelogen. Ich glaube, man kann nicht erwarten, dass alle Spaß haben und glücklich sind. Man muss die richtige Atmosphäre dafür schaffen. Deshalb setzen wir uns jeden Tag, bevor es losgeht, einmal hin, essen gemeinsam, geben uns die Gelegenheit über den Tag oder privat miteinander zu sprechen. Und dann wird konzentriert gearbeitet. Dann können trotzdem Fehler passieren, aber wenn das Rundum-Gefühl stimmt, sind auch die Gäste glücklich.
Beschreibt das Tyo Tyo und sein Konzept in drei Stichworten.
J. B.: So spontan fällt mir ein: Herzlich, lecker und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Wenn ich bis morgen nachdenken könnte, wäre es wahrscheinlich etwas anderes. Weit vorne liegt auf jeden Fall das Essen, darauf bin ich wirklich stolz. Und auch, dass wir es trotz der explodierenden Preise geschafft haben, ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis zu bewahren. Man kriegt in Hamburg auch an anderen Orten Essen dieser Art – aber zu einem viel höheren Preis. Und herzlich auf zwei Arten: Weil es mein Herzensprojekt ist – alles, was hier entstanden ist, habe ich mit Leidenschaft gemacht, auch das Interieur. Dafür habe ich sogar einen Preis gewonnen, obwohl ich nichts mit Architektur oder dergleichen zu tun habe. Und: mit herzlich meine ich natürlich auch unser Team.
D. S.: Ich finde das schwer zusammenzufassen. Für Restaurants, wie wir es machen, wird häufig der Begriff „Konzept“ oder „Sharing“ benutzt. Das wird beides aber von den Deutschen immer falsch verstanden. Wir haben hier nicht nur ein Food-Konzept, sondern wollen eigentlich auch eine asiatische Lebenskultur verkaufen. Das bezieht sich zum Beispiel auch auf die Art, wie man die Speisen zu sich nimmt. Die Gäste sollen die Tür aufmachen und das Gefühl vermittelt bekommen, durch ein südostasiatisches Land zu laufen. Wer sich darauf nicht einlässt, hat zwar auch einen schönen, aber keinen perfekten Abend. Das ist zwar kein Adjektiv, aber das Erste, woran ich beim Tyo Tyo immer denken muss. Und klar, Team-Geist und lecker. Darauf können wir schon stolz sein.
Euer Ansatz geht über ein reines Restaurantkonzept hinaus. David, wie würdest du dann eure Küche beschreiben?
D. S.: Ich finde, „Fusion“ ist genau der richtige Begriff für euroasiatische Restaurants. Die Fusion öffnet Landesgrenzen. Sie ermöglicht uns, auch Gerichte chinesischer, vietnamesischer, thailändischer Speisen mit auf die Karte zu nehmen, oder andere Geschmäcke, die wir mit einbeziehen wollen. Und wir hören auch auf die Gäste: Wenn wir immer wieder hören, es wäre so toll, wenn wir dies und jenes hätten, probieren wir das auch aus. Zu Beginn haben wir uns als südamerikanisch-japanisches Restaurant definiert und sind mit der Grundidee der Nikkei-Cuisine gestartet. Aber wir haben uns natürlich weiterentwickelt. Und wir haben großes Glück, dass wir viele Stammgäste haben, die diese Veränderungen mittragen und schön finden.
Norddeutscher geht’s gar nicht
David Schäfer, Küchenchef
Nach welchen Kriterien wählt ihr die kulturellen Einflüsse für eure Gerichte aus?
D. S.: Traditionelle Sushi gibt es schon gar nicht mehr im Tyo Tyo, selbst das ist inzwischen eine Fusion. Unsere Speisekarte besteht zu 45 Prozent aus Sushi, der Rest sind normal zubereitete Gerichte, Fisch, Fleisch, verschiedene Vorspeisen, die in sich schon so speziell sind, dass sie sich von allen anderen Gerichten unterscheiden. So richtig beginnt die Fusion für mich deshalb auf dem Tisch, wenn man miteinander teilt, wird es erst richtig schön. Wir gucken, was gerade angesagt, was gerade in Saison ist. Erst kürzlich haben wir Crunchy Kale wieder auf die Karte genommen: Norddeutscher geht’s gar nicht. Aber es ist eben modern, und durch die Marinaden, die wir verwenden, wird es wieder asiatisch. Ich sehe keinen Grund, warum wir den Grünkohl nicht beziehen sollten – wir öffnen uns, und so entsteht Neues. Wir haben viele Nationalitäten im Restaurant, die mit vielen Ideen kommen.
Ich würde gerne einen kurzen Abstecher zu euren Zutaten machen. Jessica, du hast vorhin euer Preis-Leistungs-Verhältnis hervorgehoben – wie könnt ihr eure Preise denn möglich machen?
J. B.: Also erstens bleibt weniger übrig. Aber das ist eine rein wirtschaftliche Entscheidung: Ich glaube, wir sind in einer Zeit, in der wir langfristig erfolgreicher sind, wenn wir eher kostendeckend arbeiten, anstatt die Preise so in die Höhe zu treiben wie andernorts. Wir haben eben nicht mehr dieselben Margen wie vor zehn Jahren. Unsere Herangehensweise geht aber niemals auf Kosten der Waren.
Woher bezieht ihr eure Waren? Und spielt Nachhaltigkeit eine Rolle?
D. S.: Wir versuchen, so regional wie möglich einzukaufen. Leider gibt es keine Thunfischschwärme vor der Nordseeküste, deshalb müssen wir da ein Stück weiter. Aber wir haben drei Partner in Hamburg im Bereich Fisch, Gemüse und Delikatessen, mit denen wir seit der Eröffnung zusammenarbeiten. Unser Gemüse beziehen wir von C.D. Albers, einem Großhändler aus Hamburg, die sich nicht nur zur Aufgabe gemacht haben, so regional wie möglich einzukaufen, sondern auch möglichst wenig Verpackungsmüll produzieren. So wird fast alles in Mehrwegboxen geliefert, und Produkte wie etwa Gurken sind nicht einzeln foliert, sondern kommen in Pappkartons, die aber wieder abgeholt und recycled werden.
Mir ist es sehr wichtig, den Müll auf das Minimum zu reduzieren. Wenn man organisiert arbeitet, ist das gerade beim Gemüse ein Leichtes
David Schäfer, Küchenchef
So haben wir einen geschlossenen Kreislauf. Mir ist es sehr wichtig, den Müll auf das Minimum zu reduzieren – das ist in Küchen oft ein Manko. Dabei ist es, wenn man organisiert arbeitet, gerade beim Gemüse ein Leichtes. Wir arbeiten da sehr genau, versuchen, das Maximum aus der Avocado, aus der Gurke zu ziehen. Alles, was in die Tonne fliegt, wurde schlicht nicht verwertet. Und beim Fisch handhaben wir das genauso. Da haben wir mit Hummer Pedersen auch einen sehr guten und nachhaltigen Lieferanten. Meine Einstellung zu Lebensmitteln und dem Kochen ist da sehr klar. Wir wollen faire Preise anbieten, ja, aber wir werden nicht zu minderer Qualität einkaufen, um das zu gewährleisten. Das funktioniert nicht.
Inwiefern wirken sich die Saison auf euren Einkauf aus?
D. S.: Es gibt über das ganze Jahr immense Schwankungen. In einem Monat ist der Lachs am teuersten, und in anderen Monaten unterscheidet es sich wieder ganz stark. Und wenn die Gurke von einer Woche auf die andere doppelt so viel kostet, können Jessie und ich nicht mal eben die Speisekarte umstellen. Deshalb bewerten wir unsere Kosten nicht monatlich, sondern ziehen einen Jahresdurchschnitt, und behalten Steigerungen im Auge. Wenn sich das langfristig hält, muss man die Preise früher oder später eben weitergeben. Oder andere Wege finden.
J. B.: Wir passen auch schon an manchen Stellen an. Der Thunfisch ist da ein gutes Beispiel: Er ist teuer, er ist nicht besonders nachhaltig. Wenn wir ihn ganz rausnehmen, gehen die Leute aber woanders essen. Stattdessen achten wir in der Gestaltung der Karte vermehrt darauf, den Anteil der Thunfischprodukte zu reduzieren.
Unser Team ist das Herzstück. Das müssen wir hegen und pflegen
Jessica Blumenau, Inhaberin
D. S.: So haben wir es auch mit Avocados gemacht: Schleichend die Karte angepasst. Inzwischen verwenden wir sie nur noch sehr gezielt. Eine Avocado hat durch ihren Fettgehalt viele Vorteile. Aber der Anbau verbraucht – oder verschwendet – unglaublich viel Wasser, und sie wachsen eben nicht in Deutschland. Wir müssen, für die Küche, die wir anbieten, einiges importieren. Da ist es das mindeste, dass wir so gezielt und fair wie möglich einkaufen.
J. B.: Wir haben eine Zeit lang für unseren CO₂-Ausgleich bezahlt. Inzwischen glaube ich nicht mehr sonderlich an die Wirksamkeit. Viel wichtiger finde ich, zu handeln, wo man kann. Und das bedeutet für uns auch, möglichst wenige Lebensmittel einfliegen zu lassen und den Verbrauch gewisser Produkte zu reduzieren. So können wir gut hinter dem stehen, was wir auf unserer Karte anbieten.
Welche Pläne habt ihr für die Zukunft vom Tyo Tyo?
J. B.: Das Restaurant ist jetzt fünfeinhalb Jahre alt. Ich habe eigentlich damit gerechnet, dass ich nach dieser Zeit beginne, mich zu langweilen und umzuorientieren. Aber das habe ich noch gar nicht. Ich stehe nach wie vor hinter dem Konzept und liebe den Laden und das Essen sehr und finde, wir können stolz sein auf das, was wir haben. Das ist bestimmt total uncool, aber ich habe gar nicht vor, etwas umzuschmeißen. Klar, man muss mit der Zeit gehen, klar, nach zehn Jahren wird alles sehr benutzt sein; wir sind jetzt schon immer wieder am Renovieren. Aber im Moment bin ich sehr glücklich. Ich wünsche mir vor allem, dass wir das Team weiterhin zusammenhalten.
D. S.: Ohne unser Team könnten wir sofort schließen. Das sind die Leute, die das Tyo Tyo ausmachen. Es ist im Grunde Jessies und meine Kernaufgabe, regelmäßig dabei anzusetzen und zu überlegen, was noch möglich ist. Es ist nicht immer einfach, im Tagesgeschäft positive Veränderungen zu schaffen. Aber wir arbeiten kontinuierlich daran.
J. B.: Es ist das Herzstück. Das müssen wir pflegen und hegen. Und unsere Karte ist so oder so ein stetiger Entwicklungsprozess. David und ich reisen beide sehr viel und achten dabei immer auf die Gastronomie rund um die Welt: Weil es uns interessiert, weil es uns Spaß macht, weil wir gerne essen gehen. Bis etwas auf unserer Karte landet, ist es aber ein längerer Prozess – wir wollen nichts einfach übernehmen. Alles, was wir machen, soll sich auch nach uns anfühlen. Zum Glück ist David nach wie vor sehr kreativ.
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