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Mehrwertsteuer, Personalmangel & Co

Hamburgs Gastro in der Krise?

Das Jahr ist erst wenige Tage alt, doch schon jetzt musste Hamburgs Gastronomie einige Tiefschläge einstecken. Zahlreiche Lokale geben ihr Ende oder weitreichende Veränderungen im Betrieb bekannt, darunter die Klinker Bar und das Lieger Caesar

8. Januar 2024

Im Klippkroog in Altona werden die Tische in Zukunft nur noch tagsüber besetzt / ©Marc Sill
Im Klippkroog in Altona werden die Tische in Zukunft nur noch tagsüber besetzt / ©Marc Sill

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Speisen und Getränke im Restaurant von sieben auf 19 Prozent ist seit dem 1. Januar aktuell. Satte elf Prozent mehr sind für viele Gastronominnen und Gastronomen schlicht nicht tragbar. Die Alternative: Preise auf die Gäste umlegen oder Schließung? Betreibende von alteingesessenen Restaurants und hippen Lokalen verzweifeln. Erhöhte Kosten durch den Krieg in der Ukraine, gestiegene Mieten, Personalmangel und höhere Stromkosten sowie die seit Dezember erhöhten Lkw-Maut-Kosten um 200 Euro pro Tonne CO2 für große Lkw, wodurch viele Produkte teurer wurden: Die Lage in der Gastronomie verschlimmert sich seit Monaten. Die Mehrwertsteuererhöhung bringt nun das Fass zum Überlaufen.

Kein Einsparpotenzial

Anne Behm, Geschäftsführerin vom Klippkroog in Altona, sieht keine Alternative, als zukünftig auf das Abendgeschäft in ihrem Lokal zu verzichten. „Es gibt kein Einsparpotenzial“, so die Gastronomin. „Wir sind seit 2020 im Dauerkrisenmodus. Personalkosten sind gestiegen, Mieten sind gestiegen, Wareneinsatz steigt stetig, Lieferkosten sind seit Erhöhung der Mautkosten gestiegen – wir können einfach nicht mehr einsparen!“ Gemeinsam mit ihrem Team entschied Behm daher, sich in Zukunft nur noch auf das Tagesgeschäft zu konzentrieren.

Wir können einfach nicht mehr einsparen!

Anne Behm, Geschäftsführerin vom Klippkroog

Andere Gastronominnen und Gastronomen hatten diese Option nicht. Das Restaurant Bidges & Sons auf St. Pauli sieht im Zuge der prekären Lage keinen anderen Ausweg, als die Türen endgültig zu schließen. Auf Instagram heißt es: „Mit Corona, Inflation, gestiegenen Kosten für Energie und Wareneinsatz und nun zum Jahreswechsel noch die MwSt.-Erhöhung, wird es immer schwieriger kostendeckend zu arbeiten und dabei Preise zu halten, die sich jeder noch leisten kann.“ Ab Ende Januar ist das vegane Restaurant in Hamburg also Geschichte, den dazugehörigen Shop mit fairer Kleidung gibt es dann nur noch online.

Sophia Behr schließt ihr Restaurant Pink and Orange
Sophia Behr schließt ihr Restaurant Pink and Orange
Lieger-Caesar-Geschäftsführer Steve Förster (l.) setzt in Zukunft voll auf Events / ©Julia Schumacher 
Lieger-Caesar-Geschäftsführer Steve Förster (l.) setzt in Zukunft voll auf Events / ©Julia Schumacher 
Auf Location-Suche: Das SoHo Chicken schließt nur vorübergehend / ©Marc Sill
Auf Location-Suche: Das SoHo Chicken schließt nur vorübergehend / ©Marc Sill
Tische und Stühle des Barefood Deli bleiben leer: das ehemalige Restaurant von Til Schweiger hat endgültig geschlossen / ©Marc Sill
Tische und Stühle des Barefood Deli bleiben leer: das ehemalige Restaurant von Til Schweiger hat endgültig geschlossen / ©Marc Sill

Diese Betriebe schließen aus anderen Gründen

Die Liste an Restaurants, auf die Hamburgerinnen und Hamburger zukünftig verzichten müssen, ist noch länger: der Restaurantbetrieb des Lieger Caesar wird eingestellt, da sich die Betreiber ab sofort nur noch auf Veranstaltungen konzentrieren wollen. Im letzten Jahr, so Geschäftsführer Steve Förster, „war die Personalsituation ein großes Thema für uns.“ Das Grill-Restaurant SoHo Chicken ist seit dem 21. Dezember geschlossen. Für Geschäftsführer Dirk Block passe die Atmosphäre des Standorts „nicht mehr zu unserem SoHo-Chicken-Konzept“. Auch Sophia Behr, früher eisundsalzig, dann Pink and Orange, verabschiedete sich Ende 2023 von ihren Gästen. Über Instagram gab sie bekannt: „Es war großartig, mit euch und für euch, aber nun ist es für uns an der Zeit weiterzuziehen. Wer uns kennt, weiß, dass wir uns zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort wiedersehen werden.“ Eine Anfrage, was ihre Pläne sind, blieb unbeantwortet. Das 2016 von Til Schweiger gegründete Barefood Deli in der Innenstadt ist ebenfalls passé: Geschäftsführer Michael Ränsch schloss das Restaurant aus privaten Gründen bereits Ende Dezember. Hier stehen bereits die Nachfolger fest: in die Räumlichkeiten zieht das Gastronomenpaar Tarun und Sonja Rana mit ihrem AuthenTikka. Damit eröffnen die beiden bereits das dritte indische Restaurant in Hamburg. 

Europäisch-indische Küche wird demnächst in bester Innenstadtlage serviert / ©Antonia Lüders
Europäisch-indische Küche wird demnächst in bester Innenstadtlage serviert / ©Antonia Lüders

„Der Widerstand wurde immer größer“

Aaron Levi Hasenpusch, Inhaber Klinker Bar

Von der Klinker Bar gab es zu Beginn des Jahres ebenfalls die überraschende Nachricht, dass das Lokal im Eppendorfer Weg nur noch bis Ende März geöffnet haben wird. Inhaber Aaron Levi Hasenpusch erklärt, dass jedoch nicht die wirtschaftliche Lage der Grund sei, sondern die Situation mit den Anwohnerinnen und Anwohnern. Diese hätten sich in den letzten Jahren immer häufiger beschwert, zuletzt sogar eine Petition gegen das Lokal eingereicht. „Der Widerstand gegen uns und gegen mich als Person wurde immer größer“, so Hasenpusch, „Das nimmt einfach zu viel Energie.“ Die Bar im Eppendorfer Weg haben er und sein Geschäftspartner Marianus von Hörsten als Leidenschaftsprojekt eröffnet und gemeinsam mit dem Team in einen beliebten Ort mit unterschiedlichsten Events und Pop-Ups verwandelt. Nach März ist die Klinker Bar Geschichte. Aber: Hasenpusch und sein Team werden die Klinker Bar an anderen Orten weiterleben lassen. Zunächst für einzelne Events an verschiedenen Orten, im kommenden Jahr dann vielleicht an einem neuen Ort, mit hoffentlich weniger Problemen. „Ich kann ruhigen Gewissens unsere Sachen packen und woanders wieder aufbauen. Wir haben eine Community, die mit uns kommt“, so der Gastronom.

Aaron Levi Hasenpusch (l.) und sein Team kehren dem Eppendorfer Weg ab April den Rücken / ©Sophia Schillik
Aaron Levi Hasenpusch (l.) und sein Team kehren dem Eppendorfer Weg ab April den Rücken / ©Sophia Schillik

Anwohnerinnen und Anwohner in Eimsbüttel mussten sich von der Pizzeria Schneider verabschieden. Gastronom Niels Berschneider hat das Lokal Ende Dezember geschlossen: „Die Eröffnung während der Corona-Pandemie mit erlaubtem Fensterverkauf, die ständig wechselnden Öffnungszeiten aufgrund des massiven Personalmangels, sowie zu häufiges Ausprobieren von unterschiedlichen Kartenansätzen, insbesondere um die richtige Mischung für die Ecke zu finden, hat uns Geld, Kraft, Nerven, Schweiß, Tränen und vor allem Zeit gekostet“, heißt es auf Instagram.

Im Traditionsrestaurant Brodersen ist bereits seit Wochen das Licht aus. Zahlreiche Gäste standen zuletzt vor verschlossenen Türen, denn eine offizielle Info über das Ende des Lokals an der Rothenbaumchaussee gibt es nicht. Im „Hamburger Abendblatt“ heißt es: „Am 1. Januar 2024 wurde nun gegen die Restaurant Brodersen GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet.“ Nicht nur die Betreibenden des Brodersen sind zahlungsunfähig. Auch über das Chapeau in Winterhude und das Gastro-Marketing-Unternehmen Foodboom wurde bekannt, dass Insolvenz angemeldet werden musste. Ob das Restaurant schließen muss, steht noch nicht fest.

Das Traditionsrestaurant Brodersen hat bereits seit Wochen geschlossen / ©Marc Sill
Das Traditionsrestaurant Brodersen hat bereits seit Wochen geschlossen / ©Marc Sill
Das Chapeau in Winterhude hat Insolvenz angemeldet / ©Marc Sill
Das Chapeau in Winterhude hat Insolvenz angemeldet / ©Marc Sill

Hilferufe von Hamburgs Gastronominnen und Gastronomen

Bereits im vergangenen Jahr wurden die Stimmen aus der Gastro laut, dass die Zeit für die Gastro immer schwieriger wird. Sternekoch Jens Rittmeyer sah keine andere Möglichkeit, als sein Restaurant No 4 Ende Dezember zu schließen. Cathy Bernhard, Gründerin des Happenpappen auf St. Pauli, richtete sich im Dezember über Instagram direkt an ihre Gäste. In einem Video erzählt sie von der Situation in ihrem Laden, spricht von Existenzängsten, von 250-Euro-Einnahme-Abenden und appelliert: „Wir brauchen euch dringender denn je.“

Eine starke Community

Auch Janine op het Veld, Gründerin des Aendre, hat sich über Social Media an ihre Community gerichtet, von Zukunftsängsten erzählt – und nach Spenden gefragt. Allein mit dem Restaurantbetrieb, so erzählt sie im Video, würden sie es nicht über die Wintermonate und die Erhöhung der Mehrwertsteuer schaffen. Eine Crowdfunding-Kampagne soll helfen. Stand jetzt sind bereits fast 18.000 Euro zusammengekommen. Ihr Ziel: 88.000 Euro! Das kommt nicht bei allen gut an: In den Kommentaren auf Instagram muss die Gastronomin dafür ganz schön einstecken. Von unternehmerischer Fehlleistung und einem unstimmigen Geschäftsmodell ist dort die Rede.

Aendre-Inhaberin Janine op het Veld bittet ihre Community um Hilfe / ©Aendre
Aendre-Inhaberin Janine op het Veld bittet ihre Community um Hilfe / ©Aendre

Auch das Team der Yokohama Coffee Bar hat über Instagram nach Spenden „für die Erstausstattung mit Waren, für Liquidität, um die umsatzschwachen Wintermonate zu sichern und Miete und Gehälter zahlen zu können, und für ein paar Anpassungen im Raum“ gefragt. Innerhalb von knapp drei Wochen sind auch hier fast 10.000 Euro zusammengekommen.

Hoffnung

Anne Behm vom Klippkroog ist froh über die Community und die Stammkundschaft, auf die sie und ihr Team sich verlassen können. Trotz Dauerkrise blickt die Gastronomin mit viel Zuversicht und Hoffnung in die Zukunft: „Ich habe nicht vor aufzugeben. Die Zeiten ändern sich, Konzepte müssen geändert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Mir ist wichtig, dass wir aus diesem Jammer-Modus wieder rauskommen, denn darauf habe ich keine Lust mehr.“ Im März feiert sie 13 Jahre Klippkroog. Was bis dahin noch passiert? Sie will sich mit anderen Gastronominnen und Gastronomen zusammentun, die Räumlichkeiten abends vermieten, entweder als Pop-up oder für private Veranstaltungen.

Hoffnung aus dem Klippkroog: Das Nachbarschaftscafé hat tagsüber weiterhin geöffnet / ©Marc Sill
Hoffnung aus dem Klippkroog: Das Nachbarschaftscafé hat tagsüber weiterhin geöffnet / ©Marc Sill
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Von einfacher Currywurst bis detailverliebtes Sushi, Alice von der Laden liebt die kulinarische Auswahl Hamburgs. Wenn sie sich nicht gerade durch die Gastro-Perlen der Stadt schlemmt, trinkt sie Astra in ihrer Stammkneipe.