Norddeutsche sind wetterfest – das ist kein Geheimnis. Und so wundert es nicht, dass Mitte März jeder Tisch im Außenbereich der rot leuchtenden Gosch-Filiale in Scharbeutz belegt ist. Damen, die sich mit Aperol Spritz zuprosten, Kids mit Remoulade im Mundwinkel, Hundeschnauzen, die gierig Seeluft schnüffeln – an den Hochtischen kommen bei Möwengeschrei alle zusammen. Szenenwechsel: Fischbrötchen to go, hungrige Reisende und das Gurren der Tauben bei Gosch Sylt am Hamburger Hauptbahnhof. Was gleich bleibt? Frischer Fisch in bester Qualität, eine leckere Auswahl Sylter Speisen – und das ikonische Rot des Erfolgsunternehmens.
Gekommen, um zu bleiben
Dass Fischfans heute von List auf Sylt bis Freudental bei Stuttgart zuverlässig frischen Fisch genießen können, haben sie Jürgen Gosch zu verdanken. Der gelernte Maurer zog 1967 nach Sylt, um seinen ersten Aal zu verkaufen. Er kannte die Insel von einem früheren Auftrag – und kam mit Vision und Bauchladen zum Fischverkauf zurück. Es folgt die erste Fischbude, sechs Jahre später holt er seine Mutter Annemarie nach, die sich über 20 Jahre lang als „Mutter Gosch“ weit über Westerland hinaus einen Namen machte. Erfindergeist und Geschäftssinn zeigt Jürgen Gosch von Beginn an. Da er anfänglich als Fischverkäufer noch keinen Alkohol ausschenken darf, kreiert er kurzerhand die „wahre Fischsuppe“: hochprozentiger Korn, Zitronenbrause, Nordseekrabben – serviert aus Plastikschälchen.
Was dann folgt, ist eine wahre Erfolgsgeschichte: Filialeröffnungen, die sich von der Küste immer weiter gen Süden vorwagen, ein florierender Versandhandel und später ein Onlineshop mit kultigen Gosch-Produkten. Heute zählt das Unternehmen von Sylt 35 Filialen. Alle Dependancen auf der Insel selbst werden von Familie Gosch betrieben, sie beschäftigen insgesamt mehr als 270 Angestellte. Hier leitet Jürgen Gosch, Jahrgang 1941, noch selbst die Geschäfte, unterstützt von Tochter Anja Gosch. Alle Niederlassungen außerhalb von Sylt werden von anderen Geschäftswilligen auf Lizenzbasis geführt. Übrigens: Noch heute ist Jürgen Gosch der festen Überzeugung, dass nur richtig arbeite, wer Fisch verkauft – sein Unternehmen verhilft über Sylt hinaus also rund 1000 Menschen zu handfester Beschäftigung; denn das ist die Anzahl der Mitarbeitenden, die deutschlandweit bei Gosch tätig sind.
Prost! Flaschenweise Blanc
Zurück nach Scharbeutz: Hier können Gäste im urigen Restaurant samt Bar verweilen, im gläsernen Wintergarten schlemmen oder sich einen der beliebten Außenplätze sichern, die mit Blick aufs ruhige Wasser locken. Aperol Spritz und frisch Gezapftes finden sich in den Gläsern, aber vor allem wird hier flaschenweise Wein bestellt – und das schon mittags. Denn die mehr als faire Preispolitik von Gosch ermöglicht es, auch beim Wein zuzulangen. Michael Lorenzen, Prokurist im roten Fischunternehmen, weiß um eine Besonderheit aus der Weinkarte. „Jürgen Gosch wollte immer eine Flasche Wein unter zehn Euro anbieten. Und so schenken wir seit jeher Blanc aus. Gerade auf Sylt können wir beobachten, dass Menschen sich eine teure Seezunge leisten – und das auch können – und trotzdem dazu den günstigen Blanc bestellen. Einfach, weil das Kult ist.“ Dieser Ansatz verwandelt auch die nordisch-kühlste Gesellschaft in eine illustre Runde. Hinzu kommt: Bis zur Pandemie gab es in den Restaurants weder Tische für weniger als sechs Personen noch Reservierungen. Da setzte man sich bei anderen Gästen dazu, lugte ins Glas des Nachbarn – und bestellte gemeinsam die nächste Flasche. „Bei diesen geselligen Riesengruppen sind wir aber noch nicht ganz wieder, denn seit der Pandemie herrschen hier Berührungsängste“, gibt Michael Lorenzen zu bedenken. Zuprosten kann man sich daher inzwischen auch von kleineren Hochtischen und Vierersitzgruppen.
Die Masse macht’s
Nicht nur beim Wein können sich Gosch-Fans auf faire Preise verlassen: Durch die Größe des Unternehmens wird die Ware direkt bei den Fischereien bestellt und verzichtet so auf den Umweg über teure Großhändler. Geräuchert, verarbeitet und veredelt wird in der eigenen Fischmanufaktur in Ellingstedt bei Schleswig, bevor sich die Delikatessen auf den Weg in die ganze Republik machen. „Durch die küstennahe Lage haben wir gegenüber anderen Herstellern schon einen Standortvorteil“, sagt Michael Lorenzen, der sich selbst als „rechte Hand von Jürgen Gosch“ bezeichnet. Durch seine Position im Familienbetrieb weiß er auch von den neuesten Unternehmensentwicklungen: Noch in diesem Jahr soll der Bau einer noch größeren Fischmanufaktur beginnen, die mit modernster Technik auch künftig den Anforderungen des Gastronomiebetriebes gerecht wird.
Sylter Lebensgefühl – auch fernab der Insel
„Leider geht ja jeder Sylt-Urlaub einmal zu Ende“, heißt es auf der Homepage des Gastronomieunternehmens – und genau gegen diese sentimentale Regung serviert es erfolgreich Fisch weit über die Kultinsel hinaus. Denn was Gosch schafft: Das Sylter Urlaubsgefühl auch an andere Orte zu transportieren. Ein verschwenderischer Umgang mit Meeres- und Küstenbegriffen tut hier sein Übriges. Backfisch gibt es „auf die Flosse“, bei den WCs wird nach „Seebär“ und „Meerjungfrau“ unterschieden und auch dem Wort „Kombüse“ begegnen Gäste mehr als einmal. Das kann einigen vielleicht zu viel sein – Inselsehnsucht lindert es trotzdem. Bei den Speisen verstecken sich zwischen vielen maritimen Klassikern wie Backfisch mit Kartoffelsalat oder dem beliebten Grillteller voller Meeresschätze auch kultige Gosch-Gerichte wie die Thainudeln. Es ist neben den gegrillten Garnelen sogar das beliebteste Gericht auf der Karte. Und bei den Fischbrötchen? „Ganz klar der Matjes!“ Das ist kein Zufall: Laut gesetzlicher Vorgaben muss Matjes, weil er roh ist, vor dem Weiterverkauf einmal eingefroren werden. „Die meisten Hersteller kaufen den Matjes tiefgekühlt, tauen ihn auf, verarbeiten ihn und frieren ihn dann noch mal ein. Wir sparen uns einen Gefriervorgang. Das macht den Matjes viel zarter und milder im Geschmack“, erklärt Michael Lorenzen das buchstäbliche Erfolgsrezept, das auch ihn zum Fan werden ließ. So ist es auch heute am Hamburger Hauptbahnhof der Renner: mit anderthalb Filets, Zwiebeln und ohne Salat – es könnte sonst nämlich pappig werden.
Einmal prominent fühlen
Der Unternehmergeist von Jürgen Gosch bleibt nicht ungesehen. 2010 wird Gosch vom „Deutsche Standards“-Verlag als „Marke des Jahrhunderts“ in ihr renommiertes Lexikon aufgenommen, im Folgejahr ehrt die „Welt“ das Unternehmen als goldenen „Service-Champion“. 2017 wird der Fischhändler aus Tönning mit dem Deutschen Gastronomiepreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Zu diesem Erfolg geführt hat Jürgen Gosch neben Ehrgeiz und einer Prise Glück auch seine Philosophie: „Bei mir ist jeder prominent.“ Keine Tischreservierungen, Preise, die sich (fast) jeder leisten kann und Wein aus ganzen Flaschen – das ist gelebte Unternehmensphilosophie.