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Chefs Culinar

Nahrungsmittel? Chefsache!

Wenn Hamburg hungrig ist, ist Chefs Culinar zur Stelle. Das Unternehmen beliefert unter anderem Gastronomien, Kantinen, Krankenhäuser und Kitas mit Lebensmitteln. Ein Besuch in den langen Lagerhallen des Großhändlers – von der Bestellung bis zur Auslieferung

11. September 2024

Wenn der Tag beginnt, beliefert Chefs Culinar Hamburgs Gastronomie mit Lebensmitteln / ©Jérome Gerull
Wenn der Tag beginnt, beliefert Chefs Culinar Hamburgs Gastronomie mit Lebensmitteln / ©Jérome Gerull

Text: Johanna Zobel

Graue Wolken bedecken an diesem kalten Sommertag den Himmel. 8 Grad Außentemperatur sind es in der Früh, durch den Regen fühlt es sich kälter an. Für die Mitarbeiter von Chefs Culinar im Westen der Stadt ist das kein Problem. Gefütterte Jacken, feste Hosen sowie robuste Sicherheitsschuhe sind Standard, um die gekühlten Lagerräume des Lebensmittellieferanten zu betreten. Bei 3 Grad lagern hier Molkereiprodukte, bei 1 Grad Fisch und Fleisch und bei Minusgraden die Tiefkühlwaren. Die Produkte befinden sich in riesigen Lagerräumen, deren Decken bis zu 17 Meter in die Höhe ragen. Auf den Schwerlastregalen liegt nahezu alles: Spirituosen, Naschwaren, Soßen. Insgesamt verteilen sich die Waren auf 60 Gänge. Der gesamte Gebäudekomplex erstreckt sich auf 37.000 Quadratmeter Fläche. Das entspricht mehr als fünf Fußballfeldern. Willkommen im Food-Labyrinth: Mal geht es nach rechts, mal nach links. Die einzelnen Abteilungen sind durch riesige graue Tore voneinander getrennt. Mitarbeiter düsen auf E-Meisen durch die Gänge. Sie kennen die Wege – auch ohne Navi.

Neulinge hingegen können sich hier schnell verlaufen. „Es ist schwierig, das Lager kennenzulernen. Die Fahrwege kennt man erst nach knapp einem Monat, bei den Produkten dauert es drei bis fünf Monate“, weiß Fatih Tekce, verantwortlich für das Onboarding neuer Mitarbeiter. Rund 20 Personen würden in Hochzeiten monatlich anfangen. Insgesamt zählt das Unternehmen rund 800 Mitarbeiter am Standort Hamburg und den Stützpunkten in Bremen und Hannover. Vor über 100 Jahren als kleiner Vertrieb für Margarine und Speisefette begonnen, beliefert Chefs Culinar heute Deutschland, Dänemark, Polen, Österreich, Schweden und die Niederlande. Der Hauptsitz des Unternehmens, das zur CITTI Unternehmensgruppe gehört, befindet sich in Kiel. Viele Mitarbeiter bleiben lange, wie eine Hall-of-Fame im Flur des Gebäudekomplexes beweist. Jubilare mit zehn, 20 und über 25 Jahren Unternehmenszugehörigkeit sind hier verewigt. Einer von ihnen ist Michael Hudomiet, Leiter des Lagers. Er ist seit 19 Jahren dabei. „Ich bin durch meine Mutter zu Chefs Culinar gekommen. Sie arbeitet seit 1997 im Unternehmen“, sagt Hudomiet. Tag für Tag hat er im Blick, dass die Lager mit Waren befüllt sind. 16.000 Artikel sind im Bestand, 25.000 Artikel gelistet. Beliefert werden Gastronomien, Kantinen, Altenheime, Kitas, die Hotellerie und die Schifffahrt. Bestellt wird digital oder telefonisch, anschließend wird das Lager informiert.

Kommissonierer Patrick Bühring ist einer der rund 190 Lagerarbeiter / ©Jérome Gerull
Kommissonierer Patrick Bühring ist einer der rund 190 Lagerarbeiter / ©Jérome Gerull

Einer der rund 190 Lagerarbeiter ist Patrick Bühring. Er arbeitet seit knapp zehn Jahren als Kommissionierer. Mit seiner gelb-grauen E-Meise kann er bis zu zwölf Bestellungen auf einer Tour aufgabeln. Bühring steigt auf, tippt auf ein Display, und ruft die nächste Bestellung auf: vier Dosen Apfelstücke, drei Packungen Sauce hollandaise, zwei Kartons Vanillemilch, zwei Kartons Kakao, drei Kisten Wasser. Die Route startet bei Gang 7, bei den Reinigungsmitteln, die getrennt von Lebensmittel aufbewahrt werden. „Jetzt geht es schlangenförmig in den Gang 28“, sagt Bühring und gibt Gas. Das Lager ist nach Gewicht und Auftragshäufigkeit geordnet: schwere Dosen, Kartons und Getränke kommen zuerst. Ab Gang 24 folgen die gekühlten Produkte: Milch, Joghurt, Quark, Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse. In den Gängen 1 bis 6 befinden sich Teller, Schüsseln, Besteck. Bühring durchquert die langen Gänge, vorbei an den hohen Regalen. Das Tachometer zeigt 12,5 km/h an. „Das reizt man bestenfalls aus“ sagt Bühring und lacht. „Es kommt darauf an, wie viele Kilo man hinten drauf an“, fügt er hinzu. Schnell packen und fahren lohnt sich, die Kommissionierer fahren auf Prämie. Bühring hebt seine Hand, bremst und kommt neben einem Regal zum Stehen. Das Lager besteht aus Einbahnstraßen, Richtungswechsel und Halten werden per Handzeichen angezeigt. Rund drei bis fünf Tonnen verladen die Kommissionierer am Tag. „Ich habe mal 44 Rollis an einem Tag gepackt mit 20 bis 25 Tonnen“, sagt Bühring. Er greift die Ware und legt sie auf den Container, fährt den gepackten Rollcontainer zur Ausgangskontrolle, auf eine der drei Expo-Flächen vor den Toren, zur Verladung.

Hier prüft das Team um Leiter Rui Goncalves jede Bestellung auf Vollständigkeit und Mindesthaltbarkeitsdatum. Bei jedem zweiten Auftrag müssten sie etwas austauschen oder anpassen, so Goncalves. „Wir sind die bösen Jungs, die den Kommissionierern sagen, dass der Kunde es anders möchte“. Das Logistikkonzept ist auf Geschwindigkeit und Effizienz in den vorgelagerten Prozessen ausgelegt, die Genauigkeit und Qualität wird im Nachgang feinjustiert. Bis zu 3000 Rollcontainer kontrollieren die 30 Personen in einer Schicht. Zusätzlich prüfen sie regelmäßig die Temperatur der in der hauseigenen Fleischerei verarbeiteten Fleisch-Produkte in Gang 26.

Rui Goncalves hat auch bei der Ausgangs­kontrolle ein wachsames Auge / ©Jérome Gerull
Rui Goncalves hat auch bei der Ausgangs­kontrolle ein wachsames Auge / ©Jérome Gerull

In der Fleischerei gelten strenge Hygienevorschriften. Kopfhaube, Mundschutz und Kittel gehören zur Grundausstattung der 33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Vor dem Betreten müssen sie durch eine Schleuse, Hände waschen und desinfizieren. Selbst ihre Schuhe werden mittels blauer Bürsten beim Überqueren von unten gereinigt. Erst dann dürfen sie die weiß-gekachelten Räume betreten. Es knallt, rumpelt und rattert. Maschinen schneiden im Takt Fleisch auseinander. Bis zu 13 Tonnen werden täglich zu Filets und Stücken verarbeitet und an Kitas, Krankenhäuser und Kantinen geliefert. „Heute schneiden wir rund 4000 Scheiben Schweinelachs“, sagt Tobias Drewes durch seine weiße Maske. Der gelernte Fleischermeister ist Produktionsleiter und koordiniert die Produktion. „Wir arbeiten auftragsbezogen“, erklärt er. Das garantiere, dass Nackensteaks, Schweinelachs, Rinderleber, Gulasch und Rouladen immer frisch seien. Im November und Dezember seien die mit Gurken, Zwiebeln, Speck und Senf gefüllten Rouladen besonders gefragt. „Dann produzieren wir täglich bis zu 7000 Rouladen, die wir mit der Hand befüllen und drehen“, so Drewes. Das Fleisch bezieht Chefs Culinar von Großanbietern wie Westfleisch, Global und Tönnies. Den Schwerpunkt bildet jedoch die Eigenmarke „Meisterfrisch“, mit welcher höchste Rindfleischqualität von Färsen aus der Region garantiert werde.

Für Tobias Drewes und sein Team gelten in der Fleischerei strenge Hygienevorschriften / ©Jérome Gerull
Für Tobias Drewes und sein Team gelten in der Fleischerei strenge Hygienevorschriften / ©Jérome Gerull

Dass die Qualität des Fleisches stimmt, überprüft Wolfgang Vogt. Seit 24 Jahren arbeitet er bei Chefs Culinar. Anfangs in der Fleischerei, später in der Warenannahme im Lagerbereich. Auf einer von neun Rampen prüft Vogt das Mindesthaltbarkeitsdatum und die Menge von Fleisch und anderen Waren. „Wir machen die Waren einlagerungsfähig“, sagt er. Es ist kalt (3 Grad Celsius) und laut: LKW-Motoren rattern, Kühlregale brummen, eine Waschanlage für Fleischboxen tost. „Man ist froh, wenn man aus der Kälte rauskommt“, sagt Vogt.

Nebenan, in der Obst und Gemüse-Abteilung, ist es wärmer. Insgesamt drei Gänge gibt es hier, jeder hat eine andere Temperatur. Teamleiter Marc Bernard ist für 30 Personen zuständig – und 3000 bis 4000 Produkte. Die Waren stammen unter anderem vom Hamburger Großmarkt. „Kartoffel haben wir viele. Wir haben Süßkartoffeln, Speisekartoffeln, festkochende Kartoffeln, halbierte Kartoffeln, kleine Kartoffeln“, sagt Bernard. „Zwiebeln haben wir auch jede Menge: geschnitten, gewürfelt, in Scheiben. Gibt’s hier alles.“ Er staune noch immer über neue Produkte, die regelmäßig reinkommen. Am häufigsten würden Bananen bestellt. In einer Schicht verlassen rund 400 Kartons á 18,14 Kilo der beliebten gelben Tropenfrucht das Lager. Ein Kollege stoppt neben Bernard mit seiner E-Meise, steigt aus, greift einen Bund Bananen und legt sie auf eine große Wage. „Das muss alles abgewogen werden“, erklärt Bernard. Im Gegensatz zu den restlichen Bereichen wird in der Abteilung Obst und Gemüse auch sonntags gearbeitet. Das garantiere, dass die Ware frisch bleibt. Für alle Abteilung gilt aber: Um 16 Uhr ist Feierabend.

Erst zwölf Stunden später, um 4 Uhr nachts, kehren die ersten Mitarbeiter wieder zurück in das Gebäude. In der Dunkelheit begrüßen sie sich mit einem verschlafenen „Moin“, „Guten Morgen“ oder einem stummen Kopfnicken. In den Hallen fahren die ersten E-Meisen, beim Beschleunigen ertönt das typische elektronische Ziehen. Im Expo-Bereich kontrollieren die LKW-Fahrer die Waren und verladen sie in ihr Fahrzeug.

Einer von ihnen ist Michael Lüdtke. Seit 13 Jahren fährt er für Chefs Culinar, zuvor hat er für andere Unternehmen ausgeliefert. Meist liefert er im Alten Land, Buxtehude und in Bremervörde aus. „Dort hat man selten Staus und keine Baustellen“, so Lüdtke. Heute führt ihn seine Route in die Hamburger Innenstadt. Lüdtke steht neben seinem silbernen LKW, dem ein blauer Chefs-Culinar-Schriftzug ziert. 145 Fahrzeuge umfasst der Chefs-Culinar-Fuhrpark in Hamburg. Rund 220 Kraftfahrer fahren täglich bis zu 160 Routen, 400.000 Tonnen Ware am Tag, koordiniert vom Team um Fuhrparkleiter Stefanos Doulis.

Michael Lüdtke liefert frische Waren ins Restaurant Blattgold / ©Jérome Gerull
Michael Lüdtke liefert frische Waren ins Restaurant Blattgold / ©Jérome Gerull
Das Bewegen der Rollis ist ein Kraftakt / ©Jérome Gerull
Das Bewegen der Rollis ist ein Kraftakt / ©Jérome Gerull

Lüdtke steigt in seinen LKW. Zwei Plätze befinden sich im Fahrerbereich. Die Polstersitze hüpfen bei Bodenwellen leicht auf und ab. Von der Fahrerkabine aus hat Lüdtke einen guten Überblick. In der Stadt müsse man dennoch stark aufpassen, sagt er. „Wenn ich rechts abbiege, gucke ich lieber dreimal. Zum Glück habe ich auch noch den Bildschirm.“ Er schaut auf das kleine Display, das die Kameraaufnahmen seitlich des LKWs anzeigt. Lüdtke biegt ab, fährt unter der Brücke beim Schulterblatt hindurch und ist um 6 Uhr bei seinem ersten Stopp angekommen: dem Blattgold von Zora Klipp. Er steigt aus, geht zum hinteren Bereich des LKWs, öffnet das Tor, das gleichzeitig die Rampe ist, fährt sie mittels eines Knopfes runter. Lüdtke steigt drauf, fährt die Rampe wieder hoch, schnappt sich den Rollcontainer und fährt mit diesem wieder herunter. Er schiebt den Container über das Kopfsteinpflaster, einen Gehweg entlang und hält am Eingang des Restaurants. Lüdtke öffnet die Tür mittels eines Schlüssels. Kühlware verräumt er direkt in den Kühlschrank, die restliche Ware legt Lüdtke auf den Tisch im Gastbereich. Zurück am LKW geht die Tour weiter nach Hammerbrook zur Firma Helm. Hier beliefert er zwei Rollcontainer an die hauseigene Kantine. Mitarbeiter nehmen Ware entgegen. Kurzer Schnack, weiter gehts. Die letzte Station ist das Ginn Hotel in der Großen Elbstraße. Lüdtke parkt seinen LKW am Straßenrand. Dahinter ist die Morgendämmerung an der Elbe zu sehen. Möwen segeln schreiend durch Lüfte, die Sonne durchbricht die grauen Regenwolken, nasse Pflastersteine glitzern im Licht. Lüdtke steigt auf die Rampe, schnappt sich den ersten von sieben Rollcontainern, schiebt diesen den Gehweg entlang, einen unebenen Pflastersteinweg hinunter. Es rattert und klappert bei jedem Schritt. Lüdtke hat Mühe, den mit Glasflaschen bestückten Container zu bewegen. „Da muss man aufpassen, dass der nicht stehen bleibt und überkippt“, sagt er. Der Rollcontainer besitzt Reifen aus Hartplastik, Gummireifen mit Luft würden das Gewicht nicht tragen. Am Hotel angekommen, geht es mit einem Aufzug in den achten Stock. Viermal fährt Lüdtke hoch und runter. Zwischendrin bleibt der Fahrstuhl auf anderen Stockwerken stehen. Der volle Aufzug erfreut nicht jeden Hotelgast. Ihr Frühstück wäre ohne Lüdtke nicht auf dem Teller, schmecken dürfte es ihnen bestimmt trotzdem. Lüdtke kehrt zu seinem LKW zurück. Am liebsten höre er Radio, sagt er, insbesondere den Niedersachsen-Verkehrsfunk. „Damit ich weiß, wo ich nicht entlangfahren sollte“. In der Fahrerkabine herrscht friedliche Stille, die Sitze schaukeln leicht, während Lüdtke über das Kopfsteinpflaster fährt. Autos, Fahrradfahrer und Fußgänger füllen inzwischen die Straßen. Die Stadt ist erwacht und mit Lebensmitteln versorgt. Für Lüdtke naht der Feierabend. Bis zum nächsten Morgen, wenn die Stadt wieder hungrig ist.


Portrait von Johanna Zobel

Johanna Zobel ist immer für ein ausgiebiges Abendessen mit Freunden in gemütlichen Restaurants zu haben. Ein perfekter Abend endet für sie mit einem Absacker in einer typischen Hamburger Eckkneipe.