Es ist ein sonniger Tag im Juli. Um 11 Uhr betritt Dani Zastrow mit professioneller Imkerausstattung das East Hotel auf St. Pauli. Zastrow durchquert die Eingangshalle des Vier-Sterne-Hotels zur Rezeption. „Ich bräuchte bitte den Schlüssel, um oben zu den Bienen zu kommen“, sagt Zastrow. Die Rezeptionistin überreicht ihr eine Karte. Zastrow geht zum Fahrstuhl um die Ecke, steigt ein und drückt auf die Drei. Im dritten Stock angekommen trennen sie nur ein kurzer Gang, eine hohe Stufe und eine angelehnte Tür von ihrem Ziel: der Dachterrasse. Dort stehen zwei Holzkisten auf einer Anhöhe aus Holz und Metall. Zastrow zieht Handschuhe und Imkerschleier über. Sie hebt den Deckel einer Kiste und entfernt das darunterliegende Gitter mit einem Stockmeißel, dem Werkzeug, das ein Imker immer dabei hat. In der Kiste hängen zehn Holzrahmen mit Waben, an denen sich unzählige Bienen tummeln.
Zastrow ist Imkerin und Mitgründerin von Place4Bees. Sie und ihr Geschäftspartner Björn Schumann haben es sich zur Aufgabe gemacht, moderne und gesunde Imkerei in der Stadt und im Umland zu stärken und möglichst vielen Menschen Einblick zu gewähren in die faszinierende Welt der wichtigen Tiere. Die beiden installieren seit 2021 Bienenstöcke auf Dächern, Terrassen und Grundstücken von Unternehmen, Hotels, Schulen, Kitas und Seniorenheimen, um „den heimischen Honigbienen artgerechte Lebensräume zu schaffen und sie so stark für die Zukunft zu machen“. Nebenbei bauen sie über die Projekte Wissen und Wertschätzung für das drittwichtigste Nutztier weltweit auf: Mitarbeiter, Hotelgäste, Kinder und Senioren sind jederzeit eingeladen, die Projekte intensiv mitzuerleben. Dabei sei es einfacher als gedacht, Bienenvölker in der Stadt anzusiedeln. Das East ist ein gutes Beispiel dafür.
Im East Hotel befinden sich zwei Bienenvölker, in denen um diese Jahreszeit jeweils circa 40.000 Bienen aus eigener Zucht wohnen. Sie seien für ihre zahme Art bekannt. Circa alle zwei Wochen schaut Zastrow bei ihren Schützlingen vorbei. Zastrow ist gespannt. Ein Bienenvolk hatte seine Königin verstoßen und angegriffen, erzählt sie. Zu ihrem eigenen Schutz wurde die Königin in einen Futterkasten gesperrt, einem kleinen, gelben Plastikkasten auf der Wabe. Aus diesem muss sich Queen-B herausfuttern. Während dieser Zeit kann das Volk sich wieder an ihren Duft gewöhnen. Zastrow schaut gespannt auf den gelben Kasten. Er ist leer, die Königin hat sich offenbar befreit. „Jetzt hoffe ich nur, dass sie vom Volk wieder angenommen wurde“, sagt Zastrow und macht sich auf die Suche nach ihr. Sie zieht Wabe für Wabe heraus und neigt ihren Kopf darüber. „Wir kleben stets einen Punkt auf die Königin, damit wir sie leichter finden. Die 2023er Königinnen haben bei uns eine pinke Krone“, sagt sie schmunzelnd. Aber auch ohne Markierung würde Zastrow die Königin erkennen. „Sie ist größer als ihre Artgenossen und hat ein längeres Hinterteil“, sagt sie. Zastrow zeigt auf eine moppelige Biene mit großen Augen: „Das ist eine männliche Biene, auch Drohne genannt.“ Ein Bienenvolk besteht überwiegend aus Weibchen. „Im Herbst werden die ganzen Jungs von den weiblichen Bienen sogar ganz rausgeschmissen“, sagt Zastrow. Dann kosten sie das Bienenvolk zu viel Energie. Zastrow kennt ihre Bienen – und ihre Eigenarten. „Wir hatten mal ein Volk, da sind die Bienen immer kopfüber reingeflogen“, sagt sie lachend.
Das Land der Hobbyimker
Was als Hobby begann, wurde bei Zastrow zur Berufung. „Deutschland ist ein Land der Hobbyimker“, sagt sie. Der Deutsche Imkerbund e. V. zählt knapp 140.000 Imker in Deutschland, davon betreiben 99 Prozent die Imkerei nicht erwerbsmäßig. Einer von ihnen ist David Hohmann, er kümmert sich in seiner Stadtimkerei „Um die Welt Honig“ in Ottensen um acht Bienenvölker. Zweimal jährlich erntet er den Honig und bietet ihn zum Verkauf an. Ein Teil der Einnahmen fließt in den Standort, dem MOTTE Hühnerhof. Auch in Groß Flottbek fühlen sich Bienen wohl. Sowohl im Jenischpark als auch im Botanischen Garten finden sie genügend Nahrung. Durch die Pflanzenvielfalt soll der Honig sogar „spannender“ schmecken als reinsortiger, heißt es bei der Groß Flottbeker Imkerei „Honigwerk“. Bienen-Liebhaber können hier sogar Paten von Maja und Willi werden. Das bietet auch die Imkerei „Hamburger Stadthonig“ an und verspricht sogar, die Bienenkönigin nach ihrem Paten zu benennen. Royaler Status ist also doch käuflich.
Erschwerte Bedingungen für Bienen
Honig-Genuss könnte irgendwann jedoch limitiert sein. Zumindest erschweren sich die Lebensumstände von Bienen. „Wie die übrige Landwirtschaft ist auch die Imkerei vom Klimawandel betroffen“, sagt Torsten Ellmann, Präsident des Deutschen Imkerbundes. „Erst Anfang Juli hatten wir ja leider gleich mehrere neue Temperaturrekorde zu verzeichnen. Durch die Hitze versiegen so manche Nektarquellen, und häufigerer Starkregen reißt vorzeitig die Blüten von Bäumen und Sträuchern. Zudem hinterlassen Spätfröste nach einem frühen Frühlingsstart deutliche Spuren im Blütenangebot und werfen die Bienenvölker in ihrer Entwicklung zurück.“
Vor allem die Wildbienen haben mit erschwerten Lebensbedingungen zu kämpfen. Wie die Honigbienen ernähren sie sich von Nektar und Pollen – viele sind jedoch Pollenspezialisten und auf bestimmte Pflanzen angewiesen. Durch den voranschreitenden Wohnungsbau in Großstädten fehlt es den Wildbienen an Nahrungsquellen und Nistplätzen – etwa alte Hecken, Stein- und Holzhaufen. Das Rote-Liste-Zentrum koordiniert die Erstellung der bundesweiten Roten Listen im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz. Diese zeigen die Gefährdungssituation der Arten an. Für die Bienen sieht es schlecht aus: 557 Bienenarten sind aufgeführt. Knapp die Hälfte (48 Prozent) ist bestandsgefährdet oder ausgestorben.
Einige Hamburger Projekte setzen sich für die Artenvielfalt ein. Der Hamburger Verkehrsverbund (hvv) und die Deutsche Wildtier Stiftung bepflanzen Flächen rund um U- und S-Bahnhöfe mit Blühwiesen. Darunter die Bahnhöfe Sternschanze, Ohlsdorf, Burgstraße und Billstedt. Experten zählten seither bereits 1863 Tiere. Auch in der Osterstraße und der Stadthausbrücke summt es. Die Deutsche Wildtier Stiftung hat gemeinsam mit der Wall GmbH und der Verkehrsbehörde die Dächer von Bushaltestellen in Bienenwiesen verwandelt. Die blumigen Haltestellen lockten im ersten Projektjahr 49 Arten an, darunter noch nie in Hamburg entdeckte Arten. „Jedes unversiegelte Fleckchen Natur, das wir Wildbienen in der Stadt anbieten können, nutzen sie zum Nisten und Pollen sammeln. So entstehen in der Hansestadt viele kleine Refugien für sie“, sagt Julia-Marie Battermann, Projektleiterin der Deutschen Wildtier Stiftung. Weitere begrünte Dächer und Grünflächen an U- und S-Bahnhöfen sind geplant. „Mit einer Aufwertung der Haltestellenumfelder durch Blühflächen tun wir nicht nur den Insekten etwas Gutes. Wir laden gleichzeitig Fahrgäste und Passanten dazu ein, sich an den bunten, lebendigen Flächen zu erfreuen und sich über die Bedürfnisse von Wildbienen zu informieren“, sagt Dirk Carstensen, Haltestellenumfeld-Koordinator beim hvv.
Bienenfreundliche Balkone
Auch im heimischen Garten oder auf dem Balkon könne jeder den Wildbienen unter die Arme greifen, so Dani Zastrow von Place4Bees. Etwa mit der artgerechten Bepflanzung von Grünflächen. Bienenfreundliches Saatgut finde man zum Beispiel im Baumarkt oder Gartencenter. Auch die Installation von sogenannten Insektenhotels sei eine gute Idee. Zastrow empfiehlt allerdings Insekten- und Wildbienenhotels nur bei erfahrenen, vertrauenswürdigen Anbietern zu erwerben. „Es gibt schlecht verarbeitete Modelle, die zum Beispiel nicht richtig ausgefräst sind, diese werden nicht angenommen oder im schlimmsten Fall können die Insekten sich schlimm ihre Flügel verletzen“, sagt sie.
Zastrow sucht noch immer nach der Bienenkönigin, untersucht jede einzelne Wabe, „Ha! Da ist sie!“. Die pink markierte Bienenkönigin ist mitten im Getümmel. Kaum vorzustellen, wie lange die Suche ohne das pinke Krönchen gedauert hätte. Zastrow ist erleichtert, ihr Schützling lebt. Auch das East hat Grund zur Freude: Im Herbst wird der Stadthonig in eigens gestaltete Gläser abgefüllt. „Jeder Kunde bekommt von uns seinen ganz besonderen Honig – vom eigenen Standort und mit individuellem Etikett.“ Über Feinstaub müsse man sich beim Genuss des urbanen Honigs keine Gedanken machen, diesen würden die Bienen rausfiltern. Ein Bienenstock erzielt durchschnittlich rund 20 Kilo Honig pro Jahr. Ein Teil davon lässt Zastrow ihren Honigbienen als Proviant für den Winter in ihrem Quartier auf St. Pauli. Einige Wildbienen sind dann vielleicht noch auf der Suche nach einem Unterschlupf. Die Härte von St. Pauli gilt also auch für die Bienen.